„Brief einer Brieftaube“
- aus TIER-INFO vom 10.08.2010
hallo, ich bin´s, eine Deiner zahlreichen Brieftauben, die, der Du die Nummer 395 zugedacht hast. Ich bin 1991 in Deiner sogenannten Brieftaubenzuchtanlage geschlüpft, also eine von vielen, so vielen, daß Du uns gar nicht alle persönlich kennst. Vor ein paar Tagen hast Du mich und meine Genossen per LKW nach Süddeutschland oder noch weiter nach Süden karren lassen, obwohl unser Schlag bei Dir in Laatzen bei Hannover ist. Du hast mich von meinem Partner, meinen Freunden und meinem Zuhause gewaltsam getrennt und mich mit unzähligen meiner Schicksalsgenossen so weit wegbringen lassen wie Du wolltest, nur dass wir Hunderte von Kilometern zurückfliegen, durch Gewitter, Regen, Schlechtwetterfronten, ohne Nahrung, von der Sehnsucht getrieben, wieder nach Hause zu kommen, die Geborgenheit unserer kleinen Welt, bei unseren geliebten Partnern, wieder zu erlangen.
Du weißt genau, daß wir nicht anders können als zurück zu fliegen, es ist ein innerer Zwang, der uns in der Regel davon abhält, uns eine Zukunft woanders, fernab Deiner Willkür zu suchen.
Ich kannte nur die Enge Deiner Zuchtanlage und plötzlich war der Himmel über mir, ein fremdes weites Land und nichts, was nach meinem Zuhause aussah. Nirgends der Futterspender, aus dem das Hochleistungsfutter herausrollt, mit dem Du mich fütterst, damit ich die Leistung erbringe, die Du von mir verlangst.
Du nennst es „Hobby“ oder sogar „Sport“, wenn ich mir die Knochen breche, erschöpft bin, Sehnsucht habe, Schmerzen und Angst.
Aber laß Dir sagen, daß ich dieses Leben nicht mehr mitmachen werde. Endlich steige ich aus Deinem Herrschaftssystem aus, ich ertrage nicht mehr das Joch, unter das Du mich gestellt hast.
Ich bin klüger geworden und das Pech hat mir dabei geholfen!
Bei Karlsruhe verlor ich ¾ meiner Schwanzfedern, ich weiß nicht mehr, ob ich wo gegen geprallt bin, irgendwo hängenblieb oder ob es eine Katze war, deren Näherkommen ich in meinem Erschöpfungs-zustand nicht mehr bemerkte.
Da sah ich plötzlich eine Voliere mit Tauben unter mir und ich bildete mir ein, daß ich am Ziel meiner Reise angelangt sei. In dieser Voliere saßen Tauben, darunter welche, die sich früher als „Stadttauben“ durchschlugen und in der feindseligen Menschenwelt gescheitert sind, deren Eltern vergiftet, und die von guten Menschen aufgezogen wurden. Manche sind in sogenannte „Vergrämungsanlagen“, die Menschen an Häusersimsen anbringen, geflogen und haben sich die Rümpfe aufschlitzt. Und all die Marter nur, weil sie nicht nisten, schlafen und leben sollten, an den „sauberen“ Häuserfassaden dieser „edlen“ Menschen.
Andere sind Unfällen oder sadistischen „Menschen“ zum Opfer gefallen und nun für den Rest ihres Lebens behindert.
Auch „Brieftauben“ sind darunter, so wie ich, die erschöpft und verzweifelt irgendwo aufgefunden wurden und an denen zahllose Menschen ignorant vorbei gingen, ohne Hilfe zu leisten.
Sogar „Rassetauben“, durch Menschen zu Krüppeln gezüchtet, um Preise auf Ausstellungen zu gewinnen. Manche sehen gar nicht mehr wie Tauben aus.
Jede hat mir ihr Schicksal erzählt, Verkehrsunfälle, Verwundungen, Vergiftungen usw. Bei allen waren es die Menschen, die an ihrem Elend schuld waren – warum nur tut Ihr das mit uns?
Ich setzte mich auf diese Voliere und der seltsame Mensch, der diesen Tauben, neben vielen anderen Tieren, die er beherbergt und die auch Opfer der Menschen waren, Obdach bietet, öffnete das Gehege und ich flog hinein. Und stell Dir vor, er will uns weder fressen, noch ausbeuten. Er will uns helfen, weiter zu leben und wieder gut machen, was seine boshaften Artgenossen uns angetan haben.
Jetzt weiß ich auch, was bei Dir und Deinen Vereinskameraden mit Tauben geschieht, die zu spät im Schlag eintreffen! Der Tierschützer hat es mir erzählt. Du drehst ihnen die Hälse um und frißt sie auf, nicht? Auf dem Gummiring, den Du an einem meiner Füße angebracht hast, bittest Du ja auch nur um Mitteilung und nicht um Rückgabe „Deiner“ Taube.
Laß Dir sagen, daß ich nie wieder zu Dir zurückkomme und ich bin traurig, wenn ich daran denke, welches Schicksal meine Freunde, die unter Deiner Knute stehen, einmal ereilen wird.
Es ist der Tod, wenn sie Deinen Ansprüchen nicht entsprechen.
Es ist der Tod, wenn sie sich für Dich die Knochen brechen.
Es ist der Tod, wenn Du sie ermordest.
Und Du nennst das „Hobby“? SCHÄM` DICH !
Es wird die Zeit kommen, da werden Artgenossen von Dir, solche wie der, bei dem ich von nun an in Sicherheit leben kann, aufstehen und die Abschaffung dessen, was Du „Hobby“ nennst, fordern und durchsetzen – verlaß Dich drauf!
Wer hat Dir das „Recht“ gegeben, über Leben und Tod zu entscheiden, wer macht Dich und Deine Unzulänglichkeit zum „Selektor“? Niemand – Du selbst hast Dich dazu gemacht!
Es gab auch mal Zeiten, da haben Menschen in Deutschland über Menschenleben geurteilt. Wo sind diese Lebensverächter geblieben? Haben sie sich vielleicht in Taubenschläge zurückgezogen, um ihren Hochmut und ihre Niedertracht an uns Tauben abzureagieren?
Nichts Gutes kann ich Dir wünschen, denn Lebensverachtung bereitet Dir Freude – außer vielleicht, dass Du erkennen wirst, dass diese Welt, die auch meine Welt ist, nicht besser werden kann, solange Menschen wie Du dies verhindern!
„Deine“ Ex-Brieftaube
Karlsruhe, den 12.06.1992 (TAUBEBRI.DOC)
(überarbeitet Version vom 24.03.1998 und 15.08.2001)
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Aquarell-Zeichnung: Schutzengel für alle Tauben,
gemalt von Frau Jutta Schmidt, in 37412 Herzberg/ am Harz,
Tel.: 05521 / 99 89 63